19. September 2021

Überschreitung der Nagelfluhkette

10. September 2021, 02:30 Uhr. Es geht von Nottuln aus los. Ca. 9 1/2 Wochen, nachdem ich mir in Immenstadt das Knie lädiert habe, geht es wieder zurück an den Ort des Geschehens. Diesmal aber, mit Schwesti, Schwager und Zwergi, in eine Ferienwohnung in Bühl am Alpsee. Von Anfang an ist fast klar, dass wir viele große Touren nicht laufen werden können. Zwergi ist jetzt in einem Alter, in dem er möglichst viel alleine laufen möchte und nicht mehr gewillt ist, lange Touren, in der Kraxe zu verbringen. Das limitiert die Auswahl der Touren dezent.

 

Aber eine wirklich große Bergtour stand für mich trotzdem auf dem Programm. Die Überschreitung der Nagelfluhkette vom Hochgrat zum Mittagberg. Am liebsten natürlich mit meinen drei Lieben zusammen. Wir sind uns aber einig, dass die Nagelfluhüberschreitung, mit Zwergi, nicht machbar sein würde. Und so einigen wir uns darauf, dass ich sie am Dienstag, dem 14. September, alleine angehen werde.

 

Bei den kleinen Touren der letzten Tage habe ich mein Knie als ausreichend stabil definiert und auch die Kondition scheint, unter den fast 9 ½ Wochen, mit nur minimalem Sport, nicht allzu sehr gelitten zu haben. Und so lasse ich mich, früh morgens, zur Talstation der Hochgratbahn fahren um hier, sofort zu Betriebsbeginn, um 8:45 Uhr, zur Gipfelstation aufbrechen zu können. Die Gondel befördert mich ca. 900 Höhenmeter hinauf und um 9:00 Uhr steige ich an der Bergstation aus und starte gut gelaunt die Tour. Ab nun liegen 9 Gipfel, 14 Kilometer und ca. 1670 Höhenmeter insgesamt vor mir. Und das ganze unter etwas Zeitdruck, wenn ich am Ende der Tour, um 17:00 Uhr, die letzte Talfahrt von der Mittag-Bergstation, noch bekommen möchte. Üblicherweise wir die Gehzeit mit ca. 7 Stunden angegeben. Viel Zeit für Pausen würde also nicht bleiben.

 

Schon bald stehe ich auf dem Hochgrat und genieße das erste mal die fantastische Aussicht, für die diese Tour so bekannt ist. Über den Gelchenwanger Kopf geht es weiter zum Rindalphorn. Bis hierher ist es eine ganz tolle Tour und ich genieße sie total. Am Gipfel des Rindalphornes mache ich eine kurze Rast um danach durch die Gündlesscharte abzusteigen und von dort dann auf den Gündleskopf aufzusteigen. Der Abstieg erweist sich als sehr unangenehm. Außer sehr steil zu sein ist er auch noch stark erodiert und unangenehm rutschig. Und hier bekomme ich dann doch leichte Probleme mit dem Knie. Das Knie schmerzt zwar nicht aber ich traue ihm einfach nicht wirklich und ich merke, dass mir im rechten Bein doch etwas Kraft fehlt. Das führt dazu, dass ich die Passage extrem vorsichtig absteige, was sich als echt kräfte- und zeitraubend herausstellt.

 

Am tiefsten Punkt der Scharte, im Schatten einiger Bäume, lege ich eine kurze Pause ein um mich auf den nächsten Abschnitt vorzubereiten, weil mir der folgende Aufstieg, zum Gündleskopf, schon in einigen Tourenbeschreibungen, nicht besonders sympathisch erschien. Er wird öfters als unschön, steil, stark erodiert und kräftezehrend beschrieben. Und als genau das stellt er sich auch heraus. Habe ich mich vorhin noch über stark erodiertes und rutschiges Gelände abwärts bewegt, so steige ich nun über solch ein Gelände auf. Die knapp 130 Höhenmeter wollen einfach kein Ende nehmen. Selbst mit gesundem Knie würde ich diese Passage eher als Pflicht, denn als Kür betrachten. Erleichtert und unter fluchen erreiche ich den Gipfel des Gündleskopfes und gehe direkt weiter Richtung Buralpkopf.

 

Die Wegführung dorthin, direkt am Grat, ausgesetzt und mit Drahtseilsicherung, entspricht dann wieder dem, was ich bei Gratüberschreitungen so sehr mag. Alles fluchen ist vergessen und ich kann die Tour wieder genießen. Hier auf dem Buralkopf lege ich dann die eingeplante, längere Pause ein. Auch wenn der unschöne Abstieg und Aufstieg zum Gündleskopf ordentlich Zeit gekostet haben, liege ich noch knapp im Zeitlimit. Weiter geht es, erst reizvoll abwärts am Kamm entlang, zu einem Bergsattel um von dort aus dann wieder, teils über abermals in die Wiese tief eingegrabene Wegspuren, anzusteigen. Über den Sedererstuiben erreiche ich den Gipfel des Stuiben. Hier am Stuiben habe ich allerdings dann auch mein Zeitlimit, um die letzte Bahn am Mittag zu erreichen, überschritten. Die wenigen unschönen Wegabschnitte haben heute einfach zu viel Zeit und auch viel Kraft bei mir gefressen. Ich informiere Schwesterlein über den Stand der Dinge und mache mit ihr ab, dass ich mich am Mittag noch mal melde und meine erwartete Ankunftszeit im Tal mitteile, um dort dann abgeholt zu werden.

 

Nach der Pause folge ich dem Bergkamm Richtung Mittag und erreiche bald eine der Schlüsselstellen der Tour. Einen tollen, kurzen, steilen, mit Drahtseilen versicherten, Abstieg über eine Felsstufe. Danach geht der Weg erst direkt über und neben dem Kamm abwärts weiter, bis er, nach einer Wegkreuzung, leicht ansteigend Richtung Steineberg führt. Kurz vor dem Gipfel gilt es nochmal eine seilversicherte, steile Felspassage zu meistern. Ich genieße diese letzte Schlüsselstelle und stehe kurz darauf am Gipfel des Steineberg. Da Zeit nun keine Rolle mehr spielt mache ich hier noch mal eine längere Rast. Einfach um diese grandiose Aussicht zu genießen. Und um mich mit einem Pärchen zu unterhalten, dass nach Feierabend aus Füssen angereist war, die letzte Bergfahrt auf den Mittag genommen hat und dann zum Steinberg aufgestiegen ist, nur um die, am Vortag erworbenen, Bergschuhe zu testen. Bergmenschen halt. 

 

Kurz nachdem die beiden abgestiegen sind, mache auch ich mich wieder auf den Weg. Ich habe die Möglichkeit den Abstieg zu verkürzen in dem ich eine, in der Gipfelflanke angebrachten, 17 Meter lange, senkrechte Leiter nutzen könnte. Ich entscheide mich aber den etwas längeren, dafür aber sehr schönen, Normalweg zu nehmen. Der Weg vom Steineberg zum Mittag führt erst über einen schmalen Weg an der Flanke des Gipfelaufbaus des Steineberges entlang um dann später über Stufen und Wurzelpfade bis an den Fuß des Bärenkopfes. Hier geht es nochmal leicht bergan zum Kreuz am Bärenkopf und dann auf einem, gut ausgebauten, Wanderweg zur Mittag-Bergstation.

 

Den Mittag, nach Abfahrt der letzten Bahn, zu erleben ist schon etwas besonderes. Der sonst so gut besuchte Gipfel gehört heute mir ganz alleine. Auch wenn ich die Unterhaltungen mit Menschen auf meinen Tour sehr genieße, weil man oft sehr interessante Menschen kennen lernt, so mag ich doch auch diese ganz besonderen Momente. So stehe ich hier alleine auf dem Mittag und bin unendlich glücklich darüber, dass ich diese Tour, trotz einiger Widrigkeiten, gemacht habe. Ich genieße dieses Gefühl und die Umgebung und mache mich, nach einer kurzen Meldung im Basis-Hauptquartier, dann auf den Weg talwärts. Zusätzliche 1,5 Stunden und 650 Höhenmeter im Abstieg liegen nun noch vor mir. Nachdem ich auch dieses letzte Stück gemeistert habe, bin ich tatsächlich früher als gedacht am Treffpunkt im Tal. Ich setzte mich auf eine Bank und werde bald vom Schwager eingesammelt. Überrascht werde ich mit einer Brezn und einem kühlen Getränk. Nach ca. 21 Kilometern und etwa 2350 Höhenmeter insg. eine sehr willkommene Überraschung.

 

Fazit: Die Tour ist auf weiten Strecken eine wirklich grandiose Bergtour und ich bin überglücklich sie gegangen zu sein. Und ich freue mich tatsächlich auch über das Leistungsabzeichen zur Tour. Allerdings empfinde ich die wenigen unschönen Abschnitte als so unschön, dass ich mir es doch überlegen werde, die gesamte Überschreitung, alleine, noch mal zu gehen. Da bin ich mir wirklich noch unsicher. Was ich mir aber sehr gut vorstellen kann ist es, einige Abschnitte der Tour noch mal zu gehen. Einige Teile sind einfach wunderbar. Na ja, und sollten Schwesterlein und ihr Herzblatt sich später mal dazu entscheiden die Tour ohne Zwergi zu gehen, ja dann bin ich bestimmt doch wieder dabei.

 

Was bleibt ist das tolle Gefühl und auch ein wenig Stolz, etwas, auch unter nicht ganz optimalen Vorbedingungen, geschafft zu haben, wovon man lange schon geträumt hat und was zu den ganz großen Touren in den Allgäuer-Alpen zählt. Eben einfach dieses unbeschreibliche Gefühl, dass einem nur solche Touren vermitteln können.

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